Das Kämmereigebäude


Kämmereigebäude, Nordwestecke
Kämmereigebäude, Nordwestecke

Die überaus positive wirtschaftliche Entwicklung und die enorme politische Stellung der selbständigen Hansestadt Lüneburg verursachte eine massive Zunahme des Verwaltungsaufwands. Nicht nur Geburten, Hochzeiten und Todesfälle der Einwohner wurden dokumentiert, sondern auch alle Grundstücks- und Hausverkäufe, Gewerbeeintragungen und die daraus entstehende Steuerpflicht. Dazu kam die städtische Buchhaltung, die Rechtsprechung und die Politik. In den vorhandenen Gemäuern war nicht genügend Platz für derart viel Bürokratie, weshalb 1476  die "nyge Scryverie" (neue Schreiberei) gebaut wurde.

Ursprünglich handelte es sich hierbei um ein frei stehendes Gebäude am westlichen Rand des Rathausgrundstücks zum Marienplatz hin. Allerdings wurde schon beim Bau ein späterer Anbau nach Osten vorgesehen, erkennbar am Mauerwerk im Keller.

Der mit Spitzbögen und Schmucksteinen reich verzierte siebenstaffelige nördliche Giebel ist bis heute unverändert erhalten. 2012 mußte er neu verankert werden, da er umzustürzen drohte. An der Nord- und der Westseite des Gebäudes befinden sich zwischen den Fenstern des obersten Geschosses sieben Spitzbogennischen.

Darin stehen geschnitzte Heiligenfiguren aus Eichenholz mit einem Bleimantel und einem Goldüberzug. Bei den Figuren handelt es sich um Johannes den Täufer, Maria mit dem Kinde, den heiligen Georg, die heilige Katharina, Petrus, Paulus und die heilige Ursula. Der darunter verlaufende Doppelfries zeigt abwechselnd die Wappen der Hansestadt Lüneburg und des Fürstentums Lüneburg-Braunschweig und darüber ein Fischgrätmuster. Die schräg angebrachten Wappen symbolisieren angeblich die Friedfertigkeit der Stadt.

Die Kämmerei war von Anfang an bis heute der Teil des Rathauses für den allgemeinen öffentlichen Bürgerverkehr.

nördliche Fassade
nördliche Fassade
Haupteingang für die Öffentlichkeit
Haupteingang für die Öffentlichkeit

 

Man betritt das Gebäude durch ein ehemals wesentlich größeres gotisches Portal auf der Nordseite. Einst waren rechts und links der Tür große Utluchten vorgebaut, die vom Boden bis fast an den Doppelfries reichten. Über der Tür gab es einen begehbaren Erker. Auch an der Westfassade waren mehrere Fenstererker vorgebaut,  deren Reparaturen in den alten Rechnungen auftauchen. Den Platz vergangener Fassadenbauteile kann man heute zum Teil noch am Mauerwerk erkennen.

Die derart aufwändige Fassade demonstrierte den Reichtum der Stadt und stand im Gegensatz zum eher schlichten Haus des ungeliebten Herzogs genau gegenüber.


Das Erdgeschoss

Im Inneren gelangt man erst mal in die Kämmereidiele, eine heute noch eindrucksvolle Halle, die im Laufe der Jahrhunderte mehrmals umgestaltet wurde. Hohe Fenster zum Garten sorgen für genügend Licht. Auf der rechten Seite befanden sich zwei beheizbare Schreibstuben mit Nebenräumen für die Stadtsekretäre, von denen aus wegen der Feuergefahr die Öfen geheizt wurden. 1576 wurden sie gründlich saniert, bekamen einen neuen Steinfußboden, einen neuen Anstrich und Fenstererker, die jedoch später wieder abgebrochen wurden. Als 1581 ein Zwischengeschoss über die beiden Schreibstuben eingebaut wurde, verloren diese erheblich an Raumhöhe. Zum Schutz gegen einen eventuellen Brand bekamen die Erdgeschossräume ein flaches Backsteingewölbe. Die Räume für den allgemeinen Publikumsverkehr war zweckmäßig ausgestattet, ohne viel Schmuck.

Ab etwa 1750 nannte man die vordere Schreiberei Licentstube, die anschließende  Authenticariatsstube .

  • Die Licentstube 

Ein Rechtsgelehrter führte die Rentebücher, das heißt jegliche Steuereinnahmen aus dem Verkauf beweglicher Güter, gewerblich oder privat, und die Abgaben der Untertanen wurden von ihm genauestens in Bücher eingetragen, damit niemand der Steuerpflicht entgehen konnte. Säumige Zahler wurden zur Erinnerung öffentlich erinnert, in dem eine peinliche Mitteilung über ihre Schuld in der Rathausdiele ausgehängt wurde.

Außerdem war der Licentbeamte auch für die Führung der Personenstandsbücher zuständig. Hierher mussten die Lüneburger gehen um Geburten, Hochzeiten und Sterbefälle anzuzeigen.

Nach der Nutzung als Steuer- und Standesamt fand 1855 ein Umbau zur Bürgerwache statt. Dabei wurde ein Fenster zur Diele hin eingebaut (inzwischen wieder verschlossen). Etwa ab 1930 wurden hier Fahrräder der städtischen Bediensteten untergestellt.

Der Umbau etwa 1935 zur Pförtnerei erforderte eine Absenkung des Fußbodens. Deshalb wurde das obere Tonnengewölbe des Kellers gekappt und durch eine Eisenbetondecke ersetzt. Heute befindet sich hier eine Stufe hinab in die jetzige Botenmeisterei. Eine kleine Portiersloge wurde 2003 davor gebaut.

  • Die Authenticariatsstube 

Die Nutzung des an der Westseite gelegene Raum als Authenticariat ist seit 1763 belegt. Jeglicher Besitz, Verkauf, Teilung, Beleihung, Schenkung und Vererbung von Immobilien und Grundstücken in der Stadt wurde hier genauestens dokumentiert (Grundbuchamt). Viele der alten Akten sind noch erhalten. Die Führung der Register ist schon seit 1575 nachweisbar. 1664 wird das Amt des Authenticars erstmals erwähnt. Dieser war dem Rat direkt unterstellt. 

Zugang zur Authenticariatsstube, außen
Zugang zur Authenticariatsstube, außen

Durch umfangreiche Sanierungsmaßnahmen 1768 verlor der Raum viel von seiner Ursprünglichkeit. 1852 wurden die hier geführten Bücher offiziell geschlossen. Der Raum hatte in der Folgezeit andere Funktionen, z.B. diente er um 1930 als Raum für die Reinemachefrauen und ist heute ein Büro. 

Alle Spuren historischer Innenausstattung sind verschwunden. Nur die achtfeldrige Holztür mit geschnitztem Engelskopf, Füllhörnern und Blüten in der Bekrönung ist noch erhalten.
Ein ehemaliger Zugang von außen war lange vermauert. Das alte Portal trägt ein eisernes Stadtwappen im Spitzbogen.

Zugang zur Authenticariatsstube, innen
Zugang zur Authenticariatsstube, innen

  • Das Salzkontor

Der oberste Salinenbeamte wurde aus den Reihen der Ratsherren gewählt. Da lag es nahe, dass er seine Geschäfte vom Rathaus aus führte. Dieser Raum lag gleich links neben dem Eingang - existiert heute nicht mehr. An seiner Stelle befindet sich jetzt der Übergang zum später angebauten Nachbargebäude, dem Secretarienhaus.

Doppeleingang
Doppeleingang

Am südlichen Ende der Kämmereidiele liegen zwei weitere Räume, denen wohl schon bei der Planung eine besondere Funktion zugedacht war. Zwei aufwändig gestaltete Portale führen in das Sodmeisterkörgemach (links) und das Stammgemach (rechts).

  • Die Sodmeisterkörkammer

Die 54 Siedehütten der Saline gehörten Klöstern, Adeligen und dem jeweiligen Landesherrn, die die einzelnen Pfannen an ehrbare Lüneburger Bürger verpachteten. Ab 1300 waren ausschließlich diese Sülfmeister berechtigt, zum Ratsmitglied ernannt zu werden. Von ihnen wurde einer für ein Amtsjahr zum Sodmeister, dem Leiter der gesamten Saline, ernannt. Er führte die Oberaufsicht über die Solequelle, kontrollierte die Finanzen der Saline und vertrat die Interessen der Sülfmeister gegenüber den Besitzern.

Im Dezember versammelten sich die Besitzer der Salinenanteile, die Ratsherren und die Sülfmeister in der Kämmereidiele. Ein vorher festgelegter Wahlausschuss wählte im Sodmeisterkörgemach den neuen Sodmeister und verkündete anschließend das Ergebnis in der Diele.

Von der ersten Ausstattung des Raumes ist nichts bekannt, 1582 wurden die Wände mit lateinischen Sinnsprüchen bemalt und ein kunstvoller Sandsteinkamin mit biblischen Darstellungen errichtet. Erhalten sind noch zwei Statuen aus Sandstein, die die Liebe und die Hoffnung darstellen.

Teile eines Buntglasfensters aus der Südwand befinden sich in der St. Nicolaikirche.

Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts diente das einst prachtvolle Gemach zur Lagerung von Baumaterial und Kohle.

Bevor 1899 die Stadtsparkasse diesen Raum bezog, wurde er saniert und in Warte- und Kassenbereich geteilt. Eine dekorative Wand wurde dem Raum vorgemauert um Platz für einen Tresor zu schaffen.

Ein Feuer 1981 verursachte erhebliche Schäden im Sodmeisterkörgemach, es wurde aber wieder instand gesetzt und dient heute als Sitzungsraum.

Teile eines Buntglasfensters
Teile eines Buntglasfensters
Wand vor dem Tresorraum
Wand vor dem Tresorraum

  • Das Stammgemach

Eine besondere Schreiberei war der Raum neben der Sodmeisterkörkammer, sie war mit einem Holzgitter unterteilt in einen öffentlichen und einen nicht öffentlichen Bereich, ähnlich der alten Kanzlei. Auch war die Ausstattung von besonderer Art. Maler-Rechnungen lassen annehmen, daß die Wände in diesem Raum 1491 mit Leinen bespannt wurden. Die "Laken" waren zuvor bemalt worden mit den Bildnissen der Landesfürsten, ihren Wappenschilden und zum Teil mit ihren Gemahlinnen beginnend bei Hermann Billung (10. Jahrhundert). Der große Stammbaum der Welfen nahm die ganze Nordwand ein, an den Fensterpfeilern stand Kaiser Rudolph l. und Julius Caesar. Zwischen all den Regenten schmückte allerlei florales Beiwerk und Bilder von anderen Hansestädten die Wände. An der Südwand stand ein Kamin, die hohen Buntglasfenster nach Westen zum Marienplatz zeigten Wappen und Szenen aus der Bibel.

Die Leinwände in dem ehemals Schreibereidörnse genannten Gemach haben mit der Zeit Schaden genommen. Zwar hat man die Malerei 1583 restauriert und ergänzt, aber das Leinen verfiel weiter. Während der Besatzung durch Napoleon 1803-1813 wurde der Raum als Waffenlager genutzt. Dadurch wurde noch viel mehr der alten Dekoration beschädigt.

Nach einigen Renovierungsarbeiten, bei denen die letzten Reste der Leinwände entfernt und die Wände verputzt wurden, richtete man 1838 hier das städtische Eichamt mit seinen Längen- und Hohlmaßen und Gewichten ein. Das Eichamt zog 1899 ins Alte Kaufhaus, das Stammgemach wurde saniert und in drei Zimmer geteilt. Sie dienten dem Rathausvogt als Wohnung. Seine ehemalige Waschküche wurde 1908 zu Toiletten, der Rest wurde mit der benachbarten Sparkasse zu einem großen Raum zusammengelegt.

1982 stellte man bei Instandsetzungsarbeiten die alte Raumaufteilung wieder her, dabei fand man noch floral bemalte Deckenbalken. Das ist alles was von der ganzen Pracht noch erhalten ist.

Das Zwischengeschoss

Aufgang zum Zwischengeschoß
Aufgang zum Zwischengeschoß

1583 wurde in der Kämmereidiele über den westlichen Räumen ein Zwischengeschoss eingebaut. Über eine weit in die Diele hinein ragende und bis ins Obergeschoss führende hölzerne Treppe gelangte man dort hin. Diese Konstruktion wurde 1750 in barockem Stil erneuert und 1893 durch eine Steintreppe auf der gegenüberliegende Seite ersetzt. Eine kleine Treppe führt nun ins Zwischengeschoss zu zwei Räumen, deren kunstvoll geschnitzte Ausstattung ähnlich ist wie die der zuvor fertiggestellten großen Ratsstube und die bis heute im Original erhalten sind: die kleine und die große Kommissionsstube.

  • Die Große Kommissionsstube

Nach dem Tod eines Bürgermeisters wurde die Große Ratsstube für vier Wochen geschlossen. Der Rat tagte während dieser Trauerzeit in einem Sitzungszimmer, das heute die Große Kommissionsstube genannt wird. Die Holztür und die aufwändig geschnitzten Wandvertäfelungen, Bänke und Fenstereinfassungen zeugen auch hier vom ehemaligen Wohlstand der Hansestadt.

  • Die Kleine Kommissionsstube

Dieser Raum zeigt an seinen Wandpaneelen eine Fortführung der Schnitzkunst aus der großen Kommissionsstube. Er entstand auch zur gleichen Zeit und diente Zusammenkünfte des Rates in kleiner Runde.

 

Ein Wendeltreppenturm vom Keller bis zum Dachboden und ist von allen Etagen aus zu begehen. Im Innern der Kämmereidiele führt seit 1893 eine große Steintreppe auf der Gartenseite nach oben. Ursprünglich gab es eine Holzkonstruktion an der gegenüber liegenden Wand, die ca 1750 in barockem Stil erneuert wurde. Von ihr konnte man sowohl das Obergeschoss als auch das Zwischengeschoss erreichen.

Das Obergeschoss

obere Kämmereidiele
obere Kämmereidiele

Die Räume in der oberen Etage waren einst ausschließlich der Kämmerei (Finanzverwaltung) vorbehalten. Als im 17. Jahrhundert die Verwaltung der Kirchengemeinden (Präpositur) von der Geistlichkeit auf den Magistrat der Stadt überging, wurde eigens dafür ein Raum freigemacht.

Heute befinden sich auf dieser Etage einige Büros der Stadtverwaltung und des Oberbürgermeisters.

Der südliche Anbau

Am südlichen Ende der Kämmerei wurde ein Anbau errichtet und die Fassade an deren Stil angepasst. Der Schmuckgiebel entstand erst im 18. Jahrhundert und ist lange nicht so kunstvoll wie der nördliche.